Neulich, als mein Herr Don Quijote an den riesigen Flügeln der neuen Windkraftanlagen in der Mancha hängenblieb, weil er in seiner Kampfeslust wieder einmal nicht innehalten konnte, und meine Leiter nicht lang genug war, ihn umgehend zu erretten, ritt ich auf meinem Esel durch die Dörfer der Mancha immer weiter gen Norden, um mich nach einer größeren Himmelsleiter umzusehen, mit der ich ihm zu Hilfe zu kommen gedachte. Nach Tagen des Verzichts auf meinen geliebten Wein und Schinken, und auf dem immer schwächer werdenden lahmenden Esel nur noch mühsam vorwärts kommend, ritten wir fern der Heimat durch eine unbekannte und karge Landschaft, in der neben der Einsamkeit, nur Steinhaufen und verdorrte Büsche zu hausen schienen.
Am Abend sahen wir in der Ferne ein Licht leuchten, das meinen Esel und auch mein Herz schneller galoppieren ließ, weil es uns wie ein Zeichen der Hoffnung erschien, ein Nachtlager für unsere müden und erschöpften Häupter zu finden. Bald erblickten wir ein altes Klostergebäude, das von hohen und trutzigen Mauern umschlossen war, und auf dessen Zinnen lanzenbewehrte Landsknechte standen, die ihrer Entschlossenheit mit finsteren Mienen Ausdruck verliehen.
Meinen ganzen Mut zusammennehmend, klopfte ich an die alte Eichenpforte, und beschienen von einer Fackel, öffnete ein alter Mann mit einem sonderlichen grünroten Wams, das mich an ein Narrenkostüm erinnerte, und der statt eines Helmes einen hölzernen Druckstock auf dem Kopf trug, der mit Lederriemen am massigen Kinn befestigt war. Sein Aussehen erinnerte mich ein wenig an das Antlitz eines chinesischen Gesandten, den ich einst mit meinem Herrn auf der Messe in Sevilla getroffen hatte. In seiner rechten Hand hielt er eine neunschwänzige Lederpeitsche, an der Blutreste zu kleben schienen. Während ich an Flucht und an Tod gleichzeitig dachte und mich gruselnd abwandte, hieß er uns dann doch freundlich willkommen, und bot uns Lab und Speis, aber auch ein Nachtlager für mich und meinen Esel an.
Befragt nach dem Namen des Ortes, verpflichtete er uns umgehend zu einem Schweigegelübbde, wenn uns unser Leben lieb wäre. Dieses Versprechen gab ich ihm, und ich konnte es auch meinem Esel abringen, der ansonsten nur schwer von Begriff war, aber dessen Verstand in diesem Moment wie ein Vollmond in dunkler Nacht zu leuchten begann.
Der seltsame Narr ließ uns eintreten, und stellte sich sodann mit seinem klangvollen Namen vor. Er sei der Großmeister des Cervantesordens, und man habe ihn mit seiner Heiligkeit Marcelo Raich-Radici anzusprechen. Er sei die 13. Reinkarnation des 17. Wish Nur Lettera, aus der Wortdynastie des FAZ Mumpitz Meisters Francisco Schirrmah, der wiederum die uneheliche 19.Reinkarnation des Buddha Libro Rohwolto gewesen sei.
Der alte Mann hinterließ mich beeindruckt, und selbst mein Esel ging ehrfurchtsvoll in die Knie, als wir uns anhören mussten, dass man die düstere Stätte, die er Campo Libro nannte, in einer fernen Zeit wohl sicher auch „Bookcamp“ nennen wird, wenn, wie er weiter ausführte, diese verdammten Anglizismen weiter so durch das alte Europa wabern würden. Ich fragte ihn neugierig geworden nach dem göttlichen Auftrage, den es in dieser Klosteranstalt zu erfüllen gälte, und es überfiel mich eine dunkle Vorahnung, vielleicht doch an einen Ort des Entsetzens gelangt zu sein, was mir die sträubenden Nackenhaare meines Esels eindrücklich bestätigten.
Hört, meine Freunde, sagte der Alte im Narrenkostüm, es geht um das dichterische Wort. Und es geht um Verant-wort-ung in jeder nur erdenklichen Form, rief er dann auch noch mit anschwellendem Bocksgesang, jede einzelne wichtige Silbe laut betonend. Wir haben das Konzept von den Scheiß Engländern übernommen, die es drüben auf ihrem verfaulten Eiland „Bootcamp“ nennen, und dort Diebe und anderes Gesindel umerziehen, um sie wieder zu moralisch gefestigten und ehrenwerten Untertanen der Königin zu machen. Wir bearbeiten hier in unserer Zuchtanstalt normalerweise nur junge spanische Dichter, aber jetzt in der Krise nehmen aber auch im Ausland verhaftete Wortholzfäller und Wortverbrecher, die gegen das göttliche Diktat verstoßen haben, Worte mit Verstand und Bedacht zu nutzen, sie in vernünftigen und verständlichen Reihenfolgen zusammenzufügen, auch den Wohlklang und die Weisheit in ihnen innewohnen zu lassen, dass die Menschen ein Wohlgefallen daran haben, um sich beim Lesen ergötzen, und die Inhalte auch mit mäßigem Verstand begreifen können. Diesen Monat, fuhr er fort, haben wir Gefangene aus dem Land der Dichter und Denker. Die deutsche Wortgerichtsbarkeit hat uns haufenweise in den Wortkerker geworfene Nachwuchsdichter überstellt, die es zu züchtigen und umzuerziehen gilt. Sicherlich ist dies die härteste Umerziehung die wir seit Jahren zu leisten haben, und wie zum Beweis schwenkte er die neunschwänzige Wortpeitsche, an denen noch die blutigen Haupthaare des eingekerkerten deutschen Wortnachwuchses zu hingen schienen.
Nachdem wir reichlich gegessen und guten Wein getrunken hatten, führte er uns dann in einen großen Saal, in dessen Mitte ein riesiger, mit Ketten befestigter Kupferkessel von der Decke hing. Unter ihm prasselte ein Feuer, und auf einer Leiter, die von vier Männern gehalten wurde, schwankte ein Koch, der mit einem riesigen Holzspatel in dem Kessel rührte. Das ist das karge Mahl das unsere Delinquenten während ihres Aufenthaltes bekommen, klärte uns der Großmeister auf. Außer Wasser und Brot bekommen sie täglich einmal eine Buchstabensuppe vorgesetzt, die sie aber erst aufessen dürfen, wenn sie ein kleines und schönes Gedicht daraus gelegt, und dabei auch die Regeln der Metrik beachtet haben. In dem nächsten Saal, der sich dem Refektorium anschloss, erwartete uns Grauenhaftes. Ich mag es nicht anders sagen, es war ein herzzerreißender Anblick all diese leidenden blutjungen Geschöpfe zu sehen, die von spärlichem Kerzenlicht beschienen, mit der einen Hand an Eisenringen aufgehängt waren, während sie in der anderen Hand einen Versschmiedehammer schwangen, und wie besinnungslos auf Bleilettersätze einschlugen, die vor ihnen an Ketten von der Decke baumelten.
Dies, sagte der Großmeister, ist die erste Maßnahme um sie zu brechen und in die Erschöpfung zu treiben, vor allem auch um ihnen klar zu machen, wie schwierig es ist, auch nur ein Wort dabei richtig zu treffen. Ich ging die Reihen entlang, und ganz am Ende sah ich zu meiner Verwunderung zwei ebenfalls blutjunge, halbnackte Mädchen, mit Nasenringen und Nägeln in den Zungen, die man an beiden Hände gefesselt, an der Decke aufgehängt hatte. Während ich sie durchaus lüstern betrachtete, gaben sie Wörter von sich, die mein Ohr vorher noch nie erreicht hatten, und die meine Seele zutiefst erschütterten. Sie rezitierten unentwegt Flüche, und der Geifer der ihnen dabei aus den Mundwinkeln troff, schien mehr sexuell als religiös inspiriert zu sein. Arschficken, Votze, Schwanz, schrie die eine, während die andere Muschipisse, Spermapfütze, und mehrfach Wichsarschloch, fast wie einem Duett folgen ließ. Helene, rief der Großmeister angewidert, so zügelt doch endlich eure Zungen. Fick dich ins Knie, du alter Arschficker, schallte es von oben zurück, während es dem Alten die Schamesröte und den Zorn ins Gesicht trieb. Wütend gab er Weisung an einen seiner Schergen, und ließ Fackeln herbeischaffen und den Mädchen unter die Füße halten, deren fäkales Wortimperium nach einigen Minuten in Flammen aufging, während sie unter jammerndem Kreischen um Vergebung bettelten.
Junge Zeitgeistschriftstellerinnen mit sexuellen und kognitiven Dissonanzen, zürnte der scheinbar allwissende Alte immer noch aufgebracht, denen wir das hier brutal auszutreiben gedenken, wie all den anderen auch, die die sich seit einigen Jahren durch das von diesem Shakespeare erfundene Creativ writing, um Kopf und Verstand geschrieben haben. Wir gingen weiter und erreichten einen zweiten Saal, wo schweißüberströmte und blutende junge Männer, mit großen Meiseln Buchstaben in Granitblöcke schlugen, während sie von den Schergen mit den neunköpfigen Wortpeitschen bearbeitet wurden.
Ja, sagte der Großmeister mit einem diabolischen Grinsen, sie müssen erst viel Leid ertragen lernen, und viel Blut muss ins Meer der Tränen geströmt sein, um sie alle zur Umkehr zu bewegen. Aber sie sehen ja selbst, wie hart und unbarmherzig Textarbeit wirklich sein kann. Also lasse ich sie zunächst tagelang das Alphabet in den Stein schlagen, dass sie zumindest dieses erst einmal begriffen haben.
Und, fragte ich ihn, wird man sie von ihren Wortgebrechen befreien können, gibt es da auch eine wirkliche Chance auf Heilung und eine Hoffnung auf Wortumkehr? Wer weiß das schon so genau, sagte der Alte, aber ich zumindest bin guter Hoffnung, dass wir in unserer Zuchtanstalt nicht arbeitslos werden. Nächste Woche haben wir eine Gruppe französischer Jungphilosophen, die irrtümlich annahmen, sie hätten die Revolution herbei geschrieben. Der König von Frankreich hat uns angewiesen, kein allzu großes Federlesen mit ihnen zu machen, und ihnen sowohl die Hände, als auch die Zungen abzuschneiden. Sehen sie, fuhr er fort, dass nenne ich konsequent und ökonomisch. Und das Beste daran wird sein, dass man mir trotzdem die volle Prämie ausbezahlen wird, und dies bei wesentlich geringerem Arbeitsaufwand.
Ich fing an den Großmeister, aber auch den König von Frankreich, ob ihrer Klugheit und Weisheit noch mehr zu bewundern. Fürwahr, was es doch für Möglichkeiten gab, der leidenden Dichtung wieder Respekt und Achtung zu verschaffen. Sicher würde auch die Zeit kommen, dachte ich mir, dass man in der ganzen Welt darüber nachdenken würde, auch auf diese Art eine Bereinigung des Dichterwesens zu erreichen, zumal mein Herr, den ich immer noch hilflos an den Flügeln des riesigen Windrades wähnte, in der Gerüchteküche am spanischen Hofe schon vor langem vernahm, dass viele fremde Länder damit begonnen hatten, Wortdiebe und Wortverbrecher, mit der gerade von den Franzmännern erfundenen Guillotine hinzurichten. Sicher würde dies auch dort die Qualitätsdiskussion noch mehr anstoßen, wie es bei uns hier in Spanien wohl auch notwendig sein würde, soweit ich meinem Herren Don Quijote folgen konnte, der bereits vor einiger Zeit im PEN Zentrum in Madrid einen Vortrag darüber gehalten hatte.
So schlug ich mich dann, angeregt und erschöpft, zusammen mit meinem Esel auf das karge Strohlager, träumte in der Nacht von kopflosen Schriftstellern und Dichtern, die in weißen Gewändern auf Wortfriedhöfen umherwanderten, und ihre Gehirne vor sich her trugen, in den Kerzen steckten, die ein schwaches Licht auf ihr Dasein warfen. Ausgeruht am Morgen erwacht, erzählte mir dann auch mein Esel, dass er ähnliches geträumt habe; nur seien in den offen Köpfen flackernde Teelichter zu sehen gewesen, und an Gehirne könne er sich nicht erinnern. Außerdem habe er ausgehobene Wortgräber gesehen, die mit Wortleichen gefüllt waren, und auch einige Fehlerteufel am Rande, die das Ave Maria ohne die Vokale gesungen hätten. Hast du dich nicht jetzt ein wenig zu weit aus dem Fenster gelehnt, fragte ich noch ganz schlaftrunken meinen treuen Freund, der mit einem entrüsteten „I-A-I-GITT“, antwortete. Nun gut, sagte ich mir, nun mag der Esel im Volksmund ein tumbes Tier genannt werden, aber so dumm kann kein Esel sein, mich, den Wortdiener Sancho Panzer, mit solchen Geschichten hinters Licht führen zu wollen, um dann noch die Gnade einer frischen Möhre zu erwarten.
Wir bedankten uns bei dem Großmeister Marcelo Raich-Radici für seine Gastfreundschaft, und winkten auch den wimmernden und Buchstaben meißelnden Jungschriftstellern genauso freundlich zu, wie auch den peitschenden Schergen, die schon wieder tief in ihre harte Arbeit versunken schienen. Wir wanderten weiter über Stock und Stein, und fanden drei Jahre später, kurz hinter der Abzweigung nach Barcelona, endlich eine Himmelsleiter die lang genug war, meinen Herren aus der Windkraftanlage in der Mancha befreien zu können. Aber es war mir sehr wohl auch klar, dass es ein langer und harter Weg werden würde, da wieder hinzuzukommen, wo wir ursprünglich einmal hergekommen waren.
