Sancho Panzers Tagebuch 5
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SANCHO PANZER BESUCHT GERMANIEN


Neulich, als es meinem Esel wieder mal zu gut ging, wollte er unbedingt aufs Eis. Da die Betonwüsten Spaniens furztrocken und eisfrei waren, buchte unser Meister Don Quijote zwei Billigtickets in einem spaceigen Cybercafé in der Mancha, und wir machten uns schlittschuhbewehrt auf in den eisigen Norden, die Teutonen heimzusuchen, deren Gletscher immer noch kalbten und genügend Eis produzierten, wodurch die Erfindung des Kühlschranks weiter hinausgezögert werden sollte.
Die erste Hürde gab es am Flughafen Valencia zu bezwingen, da ich in den Esel als Handgepäck mitzunehmen gedachte. Die freundlichen Besitzer des fliegenden Supermarktes, die auch noch aus einem einzigen Gramm Übergewicht Millionen Taler herausholen, hatten wirklich an alles gedacht. Deswegen gab es zur Kontrolle ein Metallgestell in Normgröße, in dem ein Handkoffer hineinzupassen hatte. Nachdem wir dabei zusahen, wie überforderte Fluggäste ihre Hineinpressungen auch mittels Arschgewichten zu bewältigen versuchten, und in anderen Fällen mehrere kräftige Personen dazu benötigt wurden, die aufgeblähten Handgepäckkoffer der Gnadenlosigkeit des Prüfgestells wieder zu entreißen, ließ ich ganz einfach die Luft aus meinem von Beate Uhse geprüften Blasesel, und konnte ungehindert den Supermarkt betreten, der so ganz nebenbei erwähnt, tatsächlich auch in die Lüfte abhob, und uns nach Germanien brachte. Während der Landung wehte der teutonische Zeitgeist in Orkanstärke, und hinter uns fiel eine böengeschwächte spanische Wanderarbeiterin namens Jennifer Lopez in eine deutschliche Ohnmacht. Während der Orkan sich daran machte, den geparkten Supermarkt mehr als in der Luft durchzurütteln, erschienen neben unzähligen Rettungswagen des DRK, des Armen Samariterbundes, und des Malteser Hilfshundedienstes, auch die Feuerwehr, das Technische Hilfswerk, und ebenso zwei Rettungsschwimmer der DLRG, die sich alle erst einmal durch die weiträumigen Absperrmaßnahmen von Hundertschaften der Bundespolizei durchkämpfen mussten, bevor man zur Lebensrettung schreiten konnte. Nach einstündiger Wartezeit, in der die mittlerweile nackte Gastarbeiterin mittels tausendfacher Mund-zu-Mund Beatmung wieder zum Leben erweckt wurde, betraten wir dann endlich germanischen Boden, der uns eisig und immer stürmischer werdend willkommen hieß. Unser Weg führte uns bald westwärts.
An den Straßenrändern spielten Blaskapellen, und Heerscharen leicht geschürzter Regensburger Domspatzen pfiffen das berühmte Lied „ Oh du schöner Westerwald, in deinen Hosen pfeift der Wind so kalt “, während der blökende Orkan weiterhin daran arbeitete, eine Zeitgeistschneise in germanische Urlandschaften zu reißen. Tausende von herabgestürzten deutschen Eichen versperrten uns die Wege, aber dank des Esels konnten wir querfeldein die Eifel, und auch den Westerwald unbeschadet hinter uns lassen. Nahe eines Stromes namens Rhin passierten wir eine verlassene und verwüstete Stadt, in der einst die germanischen Götter hausten, bevor sie ihr Walhalla in einem Sumpfgebiet tief im Osten wieder auferstehen ließen, wo sie jetzt der Kriegerwitwengöttin Merkelosa huldigen. »Sie bleiben was sie waren, gottlose Barbaren«. Diese Runen hieb schon einst der religiös verwirrte Zeitgeistpriester Bon(n)ifaz in den Stammbaum einer deutschen Eiche, bevor ihn die mangelnden Bekehrungsaussichten zur Umkehr zwangen. Oh mein Gott, was für ein merkwürdiges Land dachte ich mir mehr als einmal, auch als ich der riesigen Kolonnen von Arbeitssklaven angesichtig wurde, die der teutonische Volksmund Hartzer Roller nennt, und die im Schweiße ihrer wohl genährten Angesichter dazu gezwungen wurden, weitere kostengünstige neue Autobahnen zu bauen, dass es dem ehemaligen Straßenbaugott Adolfus Schickelgruber eine himmlische Freude gewesen wäre. Meinem Esel wars egal, weils ihm immer noch gut ging, und er auch weiterhin unbedingt aufs Eis wollte. Als wir dann aber feststellen mussten, dass das Eis, das Germanien komplett überzogen hatte, zu dünn und zu brüchig erschien, und uns Millionen von Verbotsschildern vor unbedachtem Tun abhielten, besuchten wir die Frankfurter Eissporthalle, damit er endlich einmal auf solidem Glatteis Pirouetten drehen, und einen doppelten Lutz und Axel springen konnte. So wurde er auf Anhieb, unter der Betreuung eines stasigeprüften Eislauftrainers, deutscher Meister im Paarlaufen, weil in diesem Land einzelne Esel immer auch als zwei Esel durchgehen können. Nach etlichen Tagen des Triumphes, in denen wir uns jahreszeitgemäß durch riesige Berge von Eisbeinen durchfressen mussten, die nur mit saurem Apfelwein hinunter zu spülen waren, nahmen wir noch kurz entschlossen an einigen Umzügen teil, wo kostümierte Narren auf Prunkwagen durch die Straßen schunkelten, obwohl Aschermittwoch schon längst Geschichte war, und es bis Totensonntag noch lange Durststrecken zu überwinden galt. Bis auf den Zustand der Straßen, hinterließ Germanien sicher auch dank des Orkans den Eindruck, den ich vorher bereits befürchtet hatte. Sicher wird es noch sehr lange dauern, bis sich dieses rückständige Barbarenvolk wieder blühende Landschaften gebaut oder erobert hat, mit denen wir trotz unserer Betonwüsten so reichlich in Spanien gesegnet sind. Unser Aufenthalt fand dann leider ein rasches Ende, als mein Esel sich im Frankfurter Zoo in einem Wolfsgehege verirrte, und eine veterinärmedizinische Zollkontrolle zur Reinerhaltung der Arten dazu führte, dass wir beide in Abschiebhaft genommen wurden. Ein letztes Mal wurden wir am Flughafen vor eine harte teutonische Ordnungsprobe gestellt, von der auch wir Spanier ausnahmsweise durchaus profitieren könnten, um ebenfalls wieder ganz vorn im Welttheater mitzuspielen.
Man ahnt es bereits: Auch für den zwangsangeordneten Rückflug stand wieder das berühmte Prüfgestell bereit. Aber damit nicht genug. Daneben stand auch noch ein junger Teutone mit einer Feinwaage, die das Gewicht bis zu drei Stellen hinter dem Komma anzuzeigen bereit war. Da ich den Esel mit Tageszeitungen gefüllt hatte, und auch das Ablassventil leidlich verstopft war, kam es zu einem qualvollen Wiegewettbewerb, dessen erstes Opfer der Esel wurde, der 326 Gramm Übergewicht aufwies. Nachdem ich ihn mehrfach äpfeln ließ, wog er schlussendlich 327 Gramm weniger, und auch die Anweisung die Scheiße umgehend wieder aufzuklauben und wieder in den Esel zu stecken, änderte zwar nichts am Gesamtgewicht des Handgepäcks, aber der Vorschrift war wahrlich Genüge geleistet. So sind die Germanen eben, in all ihrer sinnvollen Sinnlosigkeit, denn Ordnung muss sein, auch wenn es zum Gehirnschlag führen kann. Befehl ist Befehl. Das hat der Teutone schon immer in seinen Genen weitergetragen und verinnerlicht.
Als man uns im Flugzeug die Handschellen löste, blies ich meinen Esel mit Helium auf, und öffnete geradewegs über der Mancha die Tür des Supermarktflugzeuges. Erlöst vom Bösen schwebten wir herab, bis wir uns in den Flügeln einer alten Windmühle verfingen, die einem reisenden Käskopp aus dem Wohnwagen gestürzt war, und in der Mancha Wurzeln geschlagen hatte. Gott sei Dank rettete uns Don Quijote, dem ich als Dankeschön ein außerordentliches Gemälde von einem Maler namens Spitzweg übergab, der den Zustand Germaniens in nur einem einzigen Bild trefflich porträtierte. Später gingen wir dann noch zusammen ein leckeres Eis essen. Meinem Esel wars recht. Besser so, sagte er zu uns, als übers Eis zu schlittern und einzubrechen.

©Friedrich Hucke