Sternstunden-Im Reich der Königsmacher


Ihre Frist ist leider abgelaufen, sage ich zu ihm. Ich komme im Auftrag der allmächtigen Produktionsfirma aus Holland, und ich bin der zuständige Medienberater für besonders schwere Fälle. Stellen sie umgehend ihre Fresserei ein.
Erst wirkt er überrascht, dann macht sich Bestürzung bei ihm breit. Ächzend versucht er sich in seinem riesigen, mit Stahlträgern verstärkten Bett aufzurichten.
Was er denn falsch gemacht habe, fragt er ängstlich mit zitternder Stimme, und lässt einen gewaltigen Furz, der die Wände des Kellers erzittern lässt. Er habe sich doch wirklich alle erdenkliche Mühe gegeben, um die Erwartungen des Senders zu erfüllen. Er läge jetzt schon ein Jahr in diesem Bett, vermeide jegliche unnötige Bewegung, und er habe doch auch die Vorgabe von fünfzehntausend Kalorien täglicher Nahrungsaufnahme fast verdoppeln können. Immerhin, sagt er mit Blick auf die digitale Anzeige am Bett, das auf einer Schwerlastwaage steht, habe ich jetzt schon mehr als zweihundert Kilo zugenommen. Bis zum Weltrekord von fünfhundert Kilo sind es doch nur noch dreißig Kilo. Und jetzt schmeißen sie mich ganz einfach raus, obwohl mir nur noch ein paar Tage zum Rekord fehlen, jammert er, das ist wirklich unmenschlich.
Kann man nichts machen, antworte ich ihm, mein Auftraggeber hat sie ja ausreichend gewarnt, dass Vertragsbrüche Konsequenzen nach sich ziehen. Und letztlich wurde ihnen ja auch genügend Zeit für ihr Vorhaben eingeräumt. Außerdem habe sich die Welt draußen auch ohne ihn weitergedreht, wie er sich wohl denken könne.
Während sie hier scheinbar nur vor sich hin gehungert haben, setze ich noch einen drauf, läge ein anderer bereits seit Monaten in einem Fernsehstudio in Amerika, und sei in kürzester Zeit schon auf siebenhundertfünfzig Kilo angeschwollen. Seit er ankündigt habe, noch dieses Jahr die tausend Kilo zu überschreiten, seien die Einschaltquoten quasi explodiert. Allein die verkauften Werbeminuten an einige Fastfood Ketten hätten Millionenumsätze gebracht, trumpfe ich auch noch auf.
An wen bitte sollten wir sie jetzt noch verkaufen, frage ich ihn vorwurfsvoll, um ihn endgültig klein zu machen. An Diätpillenkonzerne? Sie sind einfach nur noch schwergewichtig und mittelmäßig dazu, und unser Vertrauen ist nachhaltig beschädigt. Außerdem hätten sie diesen neuen Rekord des Amis doch sowieso nie übertroffen, weil ihnen dazu einfach die Klasse fehlt. Deswegen waren sie auch schon die ganze Zeit offline.
Wie, fragt er mich mit Blick auf die an der Decke hängende blinkende Kamera, war ich etwa die ganze Zeit nicht auf Sendung, obwohl man mir das versprochen hatte?
Ja, sage ich, das war nur ein Testlauf um zu sehen, ob sie sich für wirkliche Rekordleistungen empfehlen können. Und sie haben so gesehen rechtzeitig versagt. Wir kaufen schon lange nicht mehr die Katze im Sack. Sie hier gemästet zu haben war schließlich teuer genug, und die Produktionskosten für die Show hätten sicher weitere Millionen verschlungen.
Dann gebe ich ihm den Rest. Er könne froh sein, dass wir keine Schadensersatzforderungen an ihn stellen würden, sage ich ihm mit strenger Miene. Er atmet sichtlich erleichtert aus, wenn auch in Form eines weiteren Furzes.
Er hätte sich mal besser ein Beispiel an dem Mann nehmen sollen, der hier ebenfalls die ganze Zeit in dem Bett hinten in der Ecke gelegen habe, lege ich dann noch nach. Der sei jetzt noch berühmter als vorher, und der große Quotenbringer dazu.
Aber, wirft er ein, den habe ich schon seit Wochen nicht mehr gesehen, und ich kann mich nicht daran erinnern, dass er das Bett und den Raum jemals verlassen hat.
Ja, sage ich ihm, genau das ist der Punkt. Sein Rekord habe ihn sozusagen spurlos gemacht, und dafür gebühre ihm eine hohe Anerkennung.
Wie das denn überhaupt ginge, will der Fettkloß wissen, das käme ihm jetzt doch ziemlich unheimlich vor. Er sei sowieso verwundert gewesen, dass der andere die ganze Zeit geschwiegen, und auch auf Fragen nicht geantwortet hat. Er habe sich dann damit abgefunden in ihm einen Mann zu sehen, der gerade dabei ist, einen Weltrekordversuch in Schweigegelübbden anzupeilen.
Da sehen sie mal, wie konzentriert der seine Aufgaben angegangen ist, gebe ich ihm zu bedenken. Der Mann, mache ich ihm klar, war einstmals ein berühmter Schriftsteller, Dichter, und auch Denker. Und nachdem er plötzlich erfolglos geworden am Hungertuch nagte, da haben wir ihm diese Show angeboten. Er musste sich innerhalb einer bestimmten Zeit lediglich endgültig selbst wegdenken. Nicht mehr und nicht weniger. Er war so etwas wie ein Modellversuch. So Menschen wie er passen nicht mehr in unsere Zeit, und jeder Schriftsteller und Dichter weniger, bringt mehr Leute an die Fernseher, und das ist gut für unsere Quote.
Ja, und das hat er jetzt geschafft, ganz einfach und endgültig spurlos zu verschwinden, fragt der Dicke irritiert, und lässt wieder einen lauten Furz.
Klar, sage ich, oder sehen sie ihn hier im Raum oder in seinem Bett? Er hat diese Herausforderung kämpferisch und konsequent angenommen, das hätten sie auch einmal tun sollen. Erst bekam er diese Schreiblähmung, dann eine Sprachlähmung, dann fehlten ihm plötzlich die Worte, und der Rest war dann scheinbar ganz einfach für ihn. Sich selbst endgültig so wegzudenken, dass man dann schlussendlich auch physisch verschwunden ist, das hat vor ihm noch niemand geschafft. Das hat meinen Respekt. Aber er war ja auch ein Profi in diesen Dingen, und sicher mag ihm das durchaus geholfen haben. Trotzdem eine feine Leistung, und seitdem rollt der Rubel. Sie dagegen haben uns nur unnötig Geld gekostet.
Aber er hat doch nun nichts mehr davon, zweifelt der Fleischklops, und furzt weiter laut vor sich hin.
Das sieht nur scheinbar so aus, beruhige ich ihn, aber die Tantiemen werden für ihn weggelegt, falls er wieder auftauchen sollte. Wir sind da fair, bei uns geht nichts verloren. Außerdem haben wir ihm das zugesichert. Und wir halten uns immer an unsere Verträge, wie sie ja jetzt auch erfahren haben. Unsere Seriosität sollte man nie in Zweifel ziehen.
Ja, und wie es jetzt trotzdem für ihn selbst weitergehen würde, will er dann dringend trotzdem wissen. Er habe doch sein altes Leben für dieses hier völlig aufgeben müssen, und jetzt drohe ihm Arbeitslosigkeit, Hunger und dann sicher am Schluss die Sozialhilfe. Ob ich mir überhaupt darüber klar sei, dass man als Sozialhilfeempfänger in Deutschland täglich höchstens fünfzehnhundert Kalorien zu sich nehmen dürfe, klagt er mich an. Man könne in seinem Fall da wirklich nicht von gesundschrumpfen sprechen, er sehe da eher seine Gesundheit gefährdet. Und einen Zuschuss zum Kauf von Kleidung in Übergröße würde man ihm doch sicher auch verweigern. Was soll bloß aus mir werden, schluchzt er lauthals, und rülpst und furzt nun gleichzeitig.
Haben sie denn nicht irgendeinen Job für mich, fragt er mich dann weinerlich und bettelnd, und wenn es als fetter und furzender Freak in einer ihrer Talkshows ist? Oder lassen sie mich als Nachfolger des verschwundenen Dichters antreten, setzt er nach. Er könne es ja mal zumindest versuchen, sich ebenfalls wegzudenken. Es wäre ihm auch egal, das Geld vielleicht erst sehr viel später zu bekommen.
Ich muss nicht mehr groß überlegen, weil er jetzt endgültig in der Falle sitzt.
Gut, sage ich entschlossen zu ihm, ich habe da etwas für sie, was sicher besser zu ihnen passen würde. Wie wäre es mit einem Castingvertrag als furzender Amokläufer.
Er schaut mich zunächst bestürzt, und dann sehr zweifelnd an.
Hat sich das nicht auch schon längst abgeschliffen, nach all den vielen Amokläufen die letzten Jahre, will er wissen. Und das bringt wirklich Quote, fragt er weiter, und verschafft mir ein entsprechendes Einkommen, das mich auch gut ernähren wird?
Ja, kommt darauf an, wie sehr sie sich anstrengen, und wie hoch ihre Abschussraten sind, erkläre ich ihm. Sie sind ja auch nicht allein in der Show. Wir planen eine ganz neue Staffel die DSDSP heißen soll. Nein, singen könne er nicht, interveniert er. Nein, das müsse er auch nicht, beruhige ich ihn. Hauptsache er könne mit einem Gewehr umgehen und gut zielen. Deutschland sucht den Schweinepriester, hieße die Show, kläre ich ihn weiter auf, und Tausende hätten sich bereits beworben. Allein schon beim Vorcasting habe es bundesweit mehrere hundert Tote gegeben, so haben sich die Bewerber ins Zeug gelegt, mache ich ihm Mut. Sie müssen sich von Runde zu Runde beweisen und weiterqualifizieren. Die mit den meisten Toten sind in der nächsten Runde, und am Schluss gibt’s ein besonderes Finale. In der ersten Runde ist es noch einfach, da gehen wir quasi als Training zu einem Amoklauf in eine Walldorfschule, da ist der Widerstand am geringsten. Im Achtelfinale sind wir dann bei einem Schriftstellerkongress zu Gast, und im Viertelfinale schießen wir uns durch ein katholisches Priesterseminar. Im Halbfinale wird es um ein gepflegtes Massaker in der Vorstandsetage einer großen deutschen Bank gehen, und der Höhepunkt im Finale wird sein, den Bundestag zu umstellen, und die schlimmsten Politiker zu eleminieren. Also, denken sie mal darüber nach, ob sie so einer Aufgabe überhaupt gewachsen sein könnten, dann gebe ich ihnen eine letzte Chance, und wir machen dann einen neuen Vertrag, sage ich ihm und weiß, dass er anbeißen wird.
Wie es mit der strafrechtlichen Verantwortung aussähe, fragt er zögerlich und immer noch ein wenig verunsichert. Und er sei doch schließlich auch bekennender Katholik.
Kein Problem, versichere ich ihm, der Gewinner erhält zusätzlich eine einmalige Heiligsprechung, und bekommt vom Papst einen kostenlosen Heiligenschein für die Straffreiheit. Außerdem würden dem Sieger noch zehn zusätzliche Vergebungen Gottes nach freier Wahl zustehen, was man ebenfalls auch vertraglich zusichern werde.
Ja, dann machen sie mal hin, sagt er dann sehr erleichtert, und schaffen endlich die neuen Verträge bei. In meiner Situation habe ich sicher sowieso keine große Wahl.
Ist doch sicher allemal besser für sie, sage ich zum Abschied, als sich vielleicht auch wegdenken zu wollen. Ich glaube, bei ihrem Körperumfang stößt man da schnell an seine Grenzen, vor allem wenn man dazu auch nichts im Kopf, sondern fast alles im Arsch hat. Ja, furzt er zurück, da könnten sie möglicherweise recht haben.